12.Dezember: LACHEN AUF DER BÜHNE - Gaudete shreds

In der Klassik-Szene hat es gefälligst immer ernst zuzugehen, sie wird schließlich nicht umsonst und wissenschaftlich korrekt als E-Musik bezeichnet. Es geht um Perfektion, in den Pausen darf kurz und ausgiebig gehustet werden, Fehler sind sowieso nicht erlaubt. Lachen schon gar nicht. Wie gerne würde ich so manchen engstirnigen Menschen genau diesen - leider weit verbreiteten - Irrglauben beispielsweise einem Wolferl Mozart verklickern sehen. Die Reaktion des exzentrischen Genies wäre sicher sensationell gewesen.

Natürlich gibt es auch Werke, in denen die Komik nicht unbedingt an allererster Stelle steht. Irgendwie finde ich es bezeichnend, dass ich genau in einem solchen Stück meine mitunter bislang lustigsten Momente auf der Bühne erleben konnte. Im Oktober 2019 durfte ich unter dem verehrten Christian Thielemann in “Die Frau ohne Schatten” mein Rollendebüt als “Einäugiger” feiern. Während der Premieren-Aufführungsserie, ein paar Monate vor unserem Rollendebüt, hatten mein Tenorkollege Michael (als “Buckeliger”) und ich eine Einspringer-Probe, in welcher wir- staatsopernüblich- die gesamte Szene in ein paar Stunden erlernen mussten. Von einer anstrengenden Woche mit Rollen in fünf verschiedenen Produktionen sichtlich gezeichnet, waren wir verständlicher Weise völlig “durch”, und in der Folge - wie man sagt - auch ein bisschen “drüber”. Dazu kommt, dass wir ohnehin, unserem Naturell folgend, während der Probenarbeit und manchmal zum Leidwesen der Hausregisseure kindische Späße machten um ein bisschen für Auflockerung sorgen. Zurück zur besagten Probe: Wir bekamen nebst den Probenkostümen die Originalrequisiten in die Hand: Dazu gehörten kleine Laternen mit der man der “Frau ohne Schatten” in den unpassendsten Szenen - “Sie hat keinen Schatten” - einen herrlich schönen ebensolchen verpassen konnte. Was wir aber noch nicht wussten: In der Originalszene auf der Bühne hatte die Beleuchter den für die Handlung ja nicht ganz unwesentlichen Umstand der Schattenlosigkeit auch nicht ausreichend bedacht. Trotzdem haben wir schon auf der Probebühne mit dem ersten Klick unserer Laternenschalter zu Kudern begonnen und damit einen Trigger erschaffen, der uns ein paar Monate später mit aller Kraft einholen sollte.

Der große, strenge Thielemann dirigiert also sein Kernrepertoire, seine Jünger sind dafür extra aus ganz Europa angereist. Es ist alles groß, laut und darüber hinaus für alle Beteiligten eine musikalische Herausforderung. Die Anspannung auf und hinter der Bühne ist zum Greifen spürbar, als die drei Brüder - der Einarmige, der Buckelige und der Einäugige - ihren letzten großen Auftritt haben. Mit ihren Laternen betreten sie - in einem dramatischen Augenblick und hochverängstigt - die Bühne. Michael geht neben mir, wir “entzünden” unsere Laternen mit einem “Klick” und sehen den Schatten. Was soll ich sagen - es war um uns geschehen. Wer schon einmal einen Lachanfall hatte, weiß ganz genau, wovon ich spreche. Man beißt sich auf die Zunge, versucht alles um sich abzulenken und nichts will helfen. Der gut gemeinte Rat meines Kollegen: “Denk an Brot, du musst an Brot denken” hat es nur noch schlimmer gemacht. Es hat mich geschüttelt vor Lachen und mir sind die Tränen runtergeronnen. Von der Seitenbühne hörten wir unsere Abendspielleiterin trotz lautester Musik im breiten niederösterreichen Dialekt: Heats auf jetzt, des gibt’s jo nit, schau da de zwoa an!” Ich muss sagen, dass das diese verzweifelten Zwischenrufe die ohnehin schon urkomische Szene nicht entschärft haben. So ging das also eine gefühlte Ewigkeit und die größte Herausforderung sollte noch bevorstehen. In der berührenden Schlussszene, als die ungeborenen Kinder die Bühne betreten und man die vergossenen Tränen im Publikum geradezu fühlen kann, hatte ich meine szenische Endposition ganz vorne an der Rampe, neben dem Soufleurkasten, Aug in Aug mit Christian Thielemann.
Gerade habe ich mich mit allergrößter Mühe beruhigt und mich endlich ganz in die Rolle der allgemeinen, stummen Betroffenheit einfinden können. Plötzlich spürte ich, stets in des Meisters gestrengem Blickfeld, die mich im Nacken kitzelnde Haand meines, sich hinter mir versteckenden, schelmischen und natürlich kichernden Kollegen. Ich musste - zum Glück mit geschlossenem Mund und folglich relativ leise- so loslachen, dass mir die Tränen seitlich aus den Augen weggespritzt sind. Mit letzter Geistesgegenwärtigkeit bin ich, gekrümmt und das Gesicht verbergend, in die Knie gegangen. Ich spielte einen Weinanfall, völlig berührt vom Erscheinen der Ungeborenen. Am nächsten Tag stand in der Zeitung: “Eine besondere Erwähnung verdient der Einäugige des Rafael Fingerlos, der mit seiner berührenden und aufopfernden Zeichnung des leidenden Barak-Bruders auf sich aufmerksam machte.”

Heute gibt es - zum Thema passend - ein humorvolles Stück. “Shreds” sind kleine Videokunstwerke, wo Musikstücke besonders geschickt mit einem neuen, meist lustigen Ton unterlegt werden. Diesmal hat des die großartigen King Singers aus England erwischt. Gaudete! Freuet euch!